5. März 2008

Ein wahrer Künstler mit dem Messer

Gestern Abend zur selben Zeit.
Ich war mitten in meinem Spaziergang durch das London des 19. Jahrhunderts, da stiegen zwei Gestalten von einem Schiff, das gerade angelegt hatte, ihre Erschöpfung war ihnen anzusehen. Doch die Müdigkeit des Einen wurde von einer besonderen Art der Wiedersehensfreude betäubt, er schien wie in Trance zu sein, wie in unterdrückter Ekstase. Seine Mimik verriet mehr als sie vielleicht wollte - ich hätte mich nicht gewundert, hätte er sich auf der Stelle theatralisch auf den Boden geschmissen und voller Inbrunst seine Seele, oder was noch davon übrig geblieben war, herausgeschrien. Ihre Wege trennten sich und ich folgte dem Interessanteren der beiden, dessen Expression von Lust, Feuer, Flamme, Trieb, Wahnsinn - oder alles in einem - Wille, gezeichnet war. Er hatte es nicht sonderlich eilig, auf eine verzehrende Art und Weise schien er es gar zu genießen, durch die nächtlichen Straßen zu reisen, ja - er schien fast alles zu verschlingen, seine endlose Anspannung sog alles in sich hinein, ein schwarzes Loch hätte es nicht besser gekonnt.

Ich folgte ihm einige Minuten, beobachtete seinen elegant schweren Gang, er ging daher wie ein Tänzer - ein Tänzer, in dessen tiefen Innern eine Leidenschaft brennt, ein Ziel, eine auf Vollendung wartende Begierde. Er glitt gleichmäßig, immer weiter, immer geradeaus, nie drehte er sich um, nie drehte er seinen Kopf, starr, stur, sein Ziel schien schon direkt vor seinen Augen. Diese Eigenart faszinierte mich, er wurde mir immer interessanter, er ließ mich nicht mehr los, ja auch mich zog er in seinen Bann, ich wurde von seinem Sog einfach mitgerissen, niemals hätte man dem auch entgehen können. Sein Tanz hatte einen stolzen Rhythmus, das Tempo war mäßig, die Dynamik blieb konstant, dies alles war so ausgeprägt, in meinen Sinnen manifestierten sich Klänge, das Ensemble wurde immer größer, meine Ideen häuften sich, überschlugen sich untereinenader, übereinander, meine Vorstellungen reiften in seinem Zauber zu einem Meer aus Donnergrollen und Orgelspiel, wie in einem Sturm auf See schlug wuchtig Welle gegen Welle, wie ein Marsch auf festem Erdboden mischten sich grollender Gleichschritt und impulsives Getöse.

Sein Schritt wurde nur unmerklich langsamer, das Abnehmen der Geschwindigkeit vollzog sich über viele Takte, so kam es, dass sein Stillstand nicht unerwartet einsetzte, ja fast selbstverständlich war, wie sich das donnernde Getöse langsam wieder zerlegte, leiser wurde, die Stimmen wieder auseinandertrieben und mit seinem Anhalten eine Stille folgen ließen, die gänzlich Anschauung war, nichts fehlte - keine Leere, die gefüllt werden wollte - die Ruhe an sich ließ die Stille sprechen. Er hob andächtig seinen Kopf gen Nachthimmel, es war sternklar, und zwischen den winzig kosmischen Lichtern hing eine silberne Sichel, die wie eine polierte Klinge nicht von sich selbst heraus schien, sondern lediglich reflektierte. Bei diesem Gedanken blitze etwas in seinen schwarzen, dunkel unterlaufenen Augen, was mich, wie auch ihn, fast ewig innehalten ließ. Sein Gesicht war nun verzerrt, ganz leicht, die Verzerrung hatte jedoch kaum Ausdruck, und so stand er da und blickte diese Sichel an, in deren Licht seine blassen Züge leuchteten, seine Falten bekamen dadurch diesen besonderen Charakter von unberechenbarem Ernst...

Diese Nacht sollte endlos werden.


Z.

1 Kommentar:

andy. hat gesagt…

Sweeney Todd Spoiler für die lyrisch interessierten? ;D